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Scanno und seine Geschichte

Scanno liegt 1050 m ü/NN und ist nach L’Aquila die zweitgrößte Flächengemeinde der Region, wovon ein Gutteil zum Nationalpark Abruzzen, Latium, Molise gehört. Sie besitzt die von der FEE (Foundation for Environmental Education)[1] verliehene blaue Flagge für ihren natürlichen Stausee mit seiner charakteristischen Herzform und die vom italienischen Touring Club verliehene orangefarbene Flagge für die ausgezeichnete, touristisch-umweltfreundliche Qualität der Dörfer im Hinterland. Scanno ist italischen Ursprungs und lag in den äußersten Ausläufern des Gebietes der Sanniten, somit – aus römischer Sicht – in unwegsamem Feindesland. Der ursprüngliche Ortsname Scamnum, aus dem später Scanno wurde, leitet sich ab von Scamnatio, der Bezeichnung des Gebietes während der Zeit der römischen Republik.   


Dank florierender gewerblicher Schäferei erlebte der Ort ab dem Ende des 16. Jhdt. einen wirtschaftlichen Wohlstand, der Scanno zu einem kulturellen Zentrum und zum Hauptort des Schafzuchtgewerbes werden ließ. Von da an und in den folgenden zwei Jahrhunderten bildete sich der städtische Charakter heraus, reich an Kirchen und Bürgerhäusern, Zeugnissen eines architektonischen Geschmacks, der der Mode der Zeit folgte und der unter dem Rückstand provinzieller Zentren überhaupt nicht zu leiden schien. Der durch die Transhumanza[2]bedingte ständige Kontakt mit der Bevölkerung der Magna Graecia[3] zunächst und später des Königreichs beider Sizilien[4] befruchtete die örtliche Kultur, weshalb Scanno auch die „bourbonischste Stadt der Abruzzen“ genannt wurde. Mit dem Niedergang der Weidewirtschaft erlitt Scanno eine erste Abwanderungswelle.   


Einige aus der zweiten Einwanderungswelle, nämlich die Heimkehrer, ebneten den Weg zu einem erfolgreichen Touristenzentrum, basierend auf dem Ruf der Gastfreundschaft und des Charmes, den sich das Städtchen und seine Bürger während der „Gran Tour“ des 18. Jahrhunderts bei den zumeist englischen Besuchern erworben hatten. Scanno war wegen seines Klimas inzwischen zu einem der beliebtesten Aufenthaltsorte Mittelitaliens geworden.


[1] Stiftung für Umwelterziehung mit Sitz in Kopenhagen 
[2] Gewerbliche Schäferei, bei der die Schäfer mit ihren Herden von Weide zu Weide ziehen 
[3] Magna Graecia („Großgriechenland“): Bezeichnung für die Regionen Süditaliens, die von griechischen Siedlern ab dem 8. Jhdt. v. Chr. kolonisiert wurden 
[4] Am 8. Dezember 1816 durch staatsrechtliche Vereinigung zweier bis dahin nur in Personalunion verbundener Königreiche, nämlich Sizilien (Hauptstadt Palermo) und Süditalien (Hauptstadt Neapel) entstandener  Staat.





Seine Einmaligkeit hat auf Dauer dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern und Besuchern, auch außergewöhnlichen, auf sich zu ziehen. Zu letzteren gehören Maurits Cornelis Escher, Hilde Lotz-Bauer, Henry Cartier Bresson und Mario Giacomelli. Dank der beiden letztgenannten hat sich Scanno in eine echte Hauptstadt der Fotografie und der Autorenfotografie verwandelt, was sie auch für andere Meister der schwarz-weiß-Fotografie wie Gianni Berengo Gardin, Ferdinando Scianna und Mimmo Iodice attraktiv machte. Scanno ist auch Sitz des von Riccardo Tanturri[1] gestifteten gleichnamigen Literaturpreises, der sich im Laufe der Jahre zu einem multidisziplinären Festival gewandelt hat.   


Dank dieser kulturellen Infrastruktur hat der Ort am See im Laufe von 40 Jahren nacheinander die berühmtesten Literaten kommen sehen, von Saul Bellow bis García Marquez und von Vargas Llosa bis Banana Yoshimoto.   


Außer Produkten der Gastronomie, Käsen von Kleinbetrieben und Süßwaren ist Scanno bekannt für seine Goldschmiedekunst, die sich im Laufe der Zeit von reinen Schmuckstücken für die Frauentracht zu einer Selbständigkeit in Entwurf und Ausführung weiterentwickelt hat, und für seine Klöppelspitze.   


Die Spitze in der Entwicklung der Frauenkleidung   

Die Spitze hat schon immer die Frauenkleidung geschmückt, war aber auch ein modischer Bestandteil der Männerhosen; in Aussteuerverzeichnissen kann man dies nachlesen.   

Noch vor der Fotografie dokumentiert die Malerei die frühere Frauenkleidung aus bunter Seide, angereichert mit Besatzstücken aus schwarzer und vergoldeter Spitze.   

Der wirtschaftliche Wohlstand, der von der gewerblichen Schäferei bis ins 18. Jhdt. herrührte, ermöglichte den Bezug von Stoffen aus den besten Webereien zusammen mit den goldenen Pailletten aus Venedig, die durchbohrt waren, um Halsketten damit zu machen.   


[5] Riccardo Tanturri (* 01.11.1944 Neapel - †21.12.2001 Rom) war Universitätsprofessor für italienische Sprache und Literatur, Schriftsteller und Journalist. 1972 wurde er Präsident des Fremdenverkehrsamtes von Scanno und widmete sich fortan der Förderung des Bildes dieser Kleinstadt im In- und Ausland. Die 1974 ins Leben gerufene Stiftung Tanturri mit Sitz in Scanno geht auf seine Initiative zurück. Sie verleiht jährlich in Scanno den ursprünglich nur als Literaturpreis gedachten Premio Scanno, der inzwischen zu einem multidisziplinären Preis auf dem Gebiet des italienischen Kulturschaffens geworden ist.


Die Frauen trugen einen Rock aus leichtem, grünem oder türkisfarbenem Tuch, das mit grünem, rotem oder schwarzem Köper garniert war. 1739 erschien ein Rock aus holländischem Leinen mit „Spitzchen“, das Mieder angereichert mit silbernen Knöpfen und goldenen Besatzstücken. Darunter trug man ein weißes Hemd, das im Ausschnitt mit Spitze abschloss. Gegen Ende des 18. und bis zur Mitte des 19. Jhdt. erfuhr die Tracht manche Wandlungen: das vorne zugeknöpfte Mieder wurde tiefer ausgeschnitten.   

Nach und nach wurde aus dem Mieder von dunkler Farbe, wie es in einem Druckwerk von Boilly-Engelmann aus dem Jahre 1827 beschrieben wurde, die Mustervorlage für das „comodino“, einer ziemlich hochgeschlossenen Jacke mit einer zweireihigen Knopfleiste als Verschluss im unteren Teil. Am Hals lugte der weiße Kragen aus Klöppelspitze hervor, der einen Teil des kleinen weißen Hemdes bildete, das als intime Leibwäsche unmittelbaren Körperkontakt hatte.   

1898 schreibt Mand Howe, dass das „lange Leinenhemd, das man am Nacken sieht, mit schöner weißer, echter Spitze umsäumt ist, weil man die Maschinenspitze nicht schätzt“. Später trat an dessen Stelle und zu demselben Zweck ein hygienisches weißes Leinenhemdchen, ohne Ärmel und nach vorne offen, bis zur Einführung der „Scolla“ in den 1920er Jahren, die in den 1950er Jahren länger und ausgefeilter, vorne abgestuft und unmittelbar an das Mieder angenäht, und somit austauschbar war.   

Die Inhalte der einzelnen Kapitel wurden entnommen aus  

  • dott.ssa Federica Silvani: „Scanno e la sua storia” (Scanno und seine Geschichte) 
  • Prof.ssa Maria Antonietta Mancini: “Il merletto nella evoluzione dell’abito femminile” (Die Spitze in der Entwicklung der Frauenkleidung)  

Spitze als Trachtenschmuck  

Ein besonderer Typus für die Verwendung von Klöppelspitze in Scanno ist die „Scolla“, ein bis zu 8 cm hoher Kragen, der an den Halsausschnitt des Mieders angenäht wird und sich nach vorne V-förmig öffnet. Der eher steife und reinweiße Kragen verleiht, zusammen mit dem über die Brust herabfallenden Goldschmuck dem Gewand beachtliche Eleganz und Schönheit.   

Vom Beginn des 20. Jhdt. bis in die 1950er Jahre hat er sich rasant weiterentwickelt und wurde immer höher und sichtbarer. 


Übersetzung aus dem Italienischen: Lothar Stang, Übach-Palenberg   

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